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Brock

Die Grundstruktur des Lebendigseins

Eine ontologische Untersuchung zur Grundlegung der Philosophischen Biologie
Rombach Wissenschaft,  2005, 227 Seiten, Paperback

ISBN 978-3-96821-039-1

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Vorwort: In diesem Frühjahr, wandernd am Waldrand über Emmendingen, stieß ich zufällig auf den kleinen Friedhof der Psychiatrischen Landesanstalt: ein Ort voller Trauer, Frieden, Schönheit und Trost. Die Erinnerung an eine Fahrt zur Anstalt in den frühen 70er Jahren tauchte auf: Max Delbrück (1906-1981, ein Vater der modernen Biologie, Nobelpreisträger) war damals in Freiburg zum Vortrag. Er wollte seinen Jugendfreund Werner Gottfried Brock besuchen; der habe ihm viel beigebracht. Wir fuhren Delbrück hinaus und warteten am Weg vor der Klinik auf ihn. Er kam zurück: bewegt, traurig-glücklich; man fragte nicht weiter. Mit dieser meiner Erinnerung kam die Frage, was wohl Brock mit den Naturwissenschaften zu tun hatte. Ein Blick in den Online-Katalog unserer Universitätsbibliothek zeigte neben Arbeiten über Nietzsche und über deutschen Existentialismus eine Habilitationsschrift (‘maschinengeschrieben, 1931 [?]’ - ja, mit Fragezeichen!): „Die Grundstruktur des Lebendigseins“. Die Schrift lag in der Bibliothek des Philosophischen Seminars; zwei DIN-A4 Bände, halb-verblichen, noch mit handschriftlichen Korrekturen, ein eindrucksvolles Stück Arbeit, ein Stück Kultur, abgehackt, liegengeblieben. Gefesselt las ich sofort ein paar Seiten. Was konnte ich über Brock erfahren? Werner Gottfried Brock (geb. 28. 3. 1901 in Berlin, gestorben 21. 6. 1974 in Emmendingen) hatte Medizin studiert, Philosophie u.a. bei Jaspers in Heidelberg, mit Promotion in Göttingen 1928 – daraus das Buch „Nietzsches Idee der Kultur“ (1930), und dort habilitierte er sich auch 1931 im Bereich von Georg Misch. Er war dann Privatdozent und Assistent bei Heidegger in Freiburg i. Br., emigrierte 1933, war ab 1934 Dozent in Cambridge, wo er deutsche Philosophie unterrichtete, und ab 1951 apl. Professor wieder in Freiburg. Attacken von Schizophrenie überschatteten Brocks letzte Lebensjahre. Der Philosoph Werner Marx, auch er ein Emigrant, schrieb im Nachruf: „Auf Grund der Gesetze des Naziregimes zwangsweise entlassen, emigrierte Werner Brock nach England. Brock galt als eine große Hoffnung für die deutsche Philosophie. Diese Hoffnung wurde jäh zunichte gemacht. Der Verlust der Heimat, der Kultur, der eigenen Sprache hat seine Entwicklung aufs schwerste gehemmt und schließlich zerstört“ (Freiburger Universitätsblätter 14. Jg., H. 47 [1975], S. 8-9). Vielleicht war es eher die Sorge um die Familie in der Emigration, die nicht-passenden Jobs im German Department, die Lehrüberlastung im Kriege. Während der Jahre in England entstanden dennoch wichtige Veröffentlichungen, nämlich “An Introduction into Contemporary German Philosophy” (1935) und der Sammelband ”Existence and Being” (1949). Letzterer enthält nicht nur Aufsätze Heideggers, sondern über 200 Seiten Einleitung von W.G. Brock, und war somit eine der ersten großen Einführungen in Heideggers Philosophie auf Englisch; der Band erschien noch 1968 in 3. Auflage. 1959 bis 1969 lehrte Werner Gottfried Brock an der Philophischen Fakultät in Freiburg. Auf Einladung von Karl Jaspers hielt er regelmäßig ab 1959 spezielle Sommerkurse in der Schweiz. Marx schreibt über Brocks Tätigkeit in Freiburg: „Trotz schwerer Krankheit hat er noch viele Jahre segensreich gewirkt. Zunächst widmete er sich der Aufgabe, die deutschen Studenten mit der zeitgenössischen englischen Philosophie, vor allem den Werken Wittgensteins und G. E. Moores, bekannt zu machen. Bald lehrte er auch wieder über seine Hauptarbeitsgebiete, den Deutschen Idealismus, Nietzsche und die Existenzphilosophie. Seine Güte und Bescheidenheit und sein hingebungsvoller Dienst an der Philosophie hat Schüler und Kollegen tief beeindruckt und bei ihrer geistigen Orientierung geholfen.“ Von Biologie keine Rede. Ein Hinweis fand sich aber bei Peter Fischer in „Licht und Leben. Ein Bericht über Max Delbrück, den Wegbereiter der Molekularbiologie“ (Universitätsverlag Konstanz 1985, S.36). Delbrück habe um 1925-30, vor allem in Göttingen, Zugang zu den Geheimnissen der Quantenphysik gefunden, daneben aber auch zu Philosophie und Poesie, letzteres „durch Werner Brock, den Max als seinen – neben Niels Bohr – zweitwichtigsten Mentor’ beschrieben hat. Brock, der sechs Jahre älter war als Max, interessierte sich nach einem Medizinstudium besonders für die Erkenntnisse der Psychiatrie. Brock äußerte immer deutliche Ansichten, lockte und lenkte die Lesetätigkeit von Max, etwa auf Sonette Shakespeares und Rilkes Duineser Elegien“, mit denen sich Delbrück am Ende seines Lebens wieder intensiv beschäftigte. „Der Einfluß von Brock hielt nur begrenzte Zeit an. Die Emigration wurde zu einer Katastrophe.“ Soweit Peter Fischer. Delbrücks Beschäftigung mit Biologie begann etwa 1930-32; es wäre verwunderlich, hätten die Freunde nicht die Fragen der Habilitationsschrift diskutiert. Mich hat Brocks Arbeit gepackt. Ein Beispiel: Ich schrieb gerade etwas über zwei Formen der Evolutionstheorie – und da finde ich bei Brock dieses Problem luzide und viel treffender dargestellt (S. 114-120) als Gegenüberstellung: Deszendenz-Verzweigung bei Darwin und Aszendenz-Lebensschwungkraft bei Bergson. Die zwei verschiedenen Ansätze werden expliziert, wie auch mögliche Gründe des Scheiterns der jeweiligen Einseitigkeiten. Brock skizziert in der Einleitung der Habilitationsschrift sein Programm: drei große Teile waren geplant mit dem Ziel, die „Idee des Lebens“ zu erklären; die vorliegende Schrift wollte nur der erste Abschnitt sein. Diese ontologische Analyse der Grundstruktur des Lebendigseins sollte keine empirische Biologie sein, keine me-taphysische Naturphilosophie („Dem Naturphilosophen. ist das Geheimnis des Seins offenbar“) und keine Philosophie der Biologie („[Diese]. greift ein bestimmtes, zufällig interessierendes Einzelproblem. heraus und sucht [es] von irgendeinem. philosophisch scheinendem Standpunkt aus zu interpretieren“). Brocks Habilitationsschrift ist von großer Kraft der Strukturierung und der Sprache, vergleichbar, glaube ich, den berühmten Schriften dieser Jahre zu ähnlichem Thema: Helmuth Plessners „Die Stufen des Organischen und der Mensch“ (1928), Max Schelers „Die Stellung des Menschen im Kosmos“ (1928) und vielleicht Martin Heideggers „Sein und Zeit“ (1927). Die Arbeit Brocks zwischen Philosophie und Biologie, ihre (potentielle) Bedeutung damals und möglicherweise auch jetzt, verdienen eine ernste Studie. Doch hier soll nur ohne großen Kommentar das liegengebliebene Opus besser lesbar gemacht werden. Für spontane Unterstützung und für wertvolle, manches richtigstellende Information sei der Tochter W. G. Brocks, Frau Dr. Barbara Buchan (Lincoln MA USA), von Herzen gedankt. Rainer Hertel Institut Biologie III Albert-Ludwigs-Universität Freiburg i.Br. September 2003

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